Der Kostendruck in der Versicherungsbranche ist immer noch hoch. So hoch, dass alles Mögliche, aber auch Unmögliche versucht wird, um Schadensersatzzahlungen zu kürzen. Das Ganze wird dann natürlich auf dem Rücken der Geschädigten ausgetragen. Wer sich nicht wehrt hat schon verloren, wie auch der beim Amtsgericht Weißenburg verhandelte Fall zeigt:
Nach einem unverschuldeten Unfall hat der Geschädigte ein Gutachten eingeholt und das verunfallte Fahrzeug (Totalschaden) zu dem im Gutachten ausgewiesenen Restwert veräußert. Der Haftpflichtversicherer des Schädigers hat später ein höheres sog. „Restwertangebot“ aus dem Internet beigebracht und dieses seiner Abrechnung zugrunde gelegt und die Zahlung des Differenzbetrages (Anmerkung: immerhin knapp 5000 €) geradezu trotzig verweigert.
Im Prozess hat sich der Haftpflichtversicherer dann mit der Behauptung verteidigt, der geschädigte Kläger hätte „der Beklagten zunächst einmal die Möglichkeit geben müssen, ein höheres Restwertangebot zu unterbreiten“ und auf ein Urteil des OLG Köln, Az. 13 U 80/12 vom 16.07.2012 berufen. Dieser unzutreffenden Rechtsprechung hatte der Bundesgerichtshof aber schon eine klare Absage erteilt:
„Soweit der angefochtenen Entscheidung die Rechtsauffassung zugrunde liegt, ein Geschädigter habe vor dem Verkauf des Unfallfahrzeugs zu dem im von ihm eingeholten Gutachten ermittelten Restwert dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer grundsätzlich Gelegenheit zu geben, eine günstigere Verwertung als im Gutachten vorgesehen vorzunehmen, widerspricht dies der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (Senatsurteile vom 27. September 2016 – VI ZR 673/15, DAR 2017, 19 Rn. 9, 12; vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92, VersR 1993, 769, 770).“
(Urteil des BGH vom 21. Februar 2017 – VI ZR 22/16 Rn. 12)
Nicht nur das: der Bundesgerichtshof hatte sich vielmehr bereits explizit gerade auch mit der angeführten Entscheidung des OLG Köln auseinandergesetzt und klargestellt, dass es so nicht geht:
„Nach diesen Grundsätzen, mit denen die vom Berufungsgericht abgelehnte Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln (OLG Köln, Beschlüsse vom 16. Juli 2012 – 13 U 80/12, NJW-RR 2013, 224, 225 und vom 14. Februar 2005 – 15 U 191/04, BeckRS 2005, 09804) – wie das Berufungsgericht zutreffend sieht – nicht in Übereinstimmung zu bringen ist, begegnet die Annahme, der vom Wiederbeschaffungswert abzuziehende Restwert des Unfallfahrzeugs sei im Hinblick auf den vom Kläger tatsächlich erzielten Verkaufserlös mit 11.000 € zu bemessen, keinen rechtlichen Bedenken.“
Urteil des BGH vom 27. Dezember 2016 – VI ZR 673/15, Rn. 10
Das Amtsgericht Weißenburg macht vor diesem Hintergrund kurzen Prozess und stellt klar:
„Die zulässige Klage ist vollumfänglich erfolgreich. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten muss sich der Kläger nicht auf das Restwertgebot verweisen lassen.
Unter dem Gesichtspunkt der Dispositionsmaxime steht es dem Kläger frei mit der verunfallten Sache so zu verfahren wie er möchte.
Wenn hier ein Gutachten zum Restwert auf dem für den Kläger maßgeblichen regionalen Markt erholt und das Gutachten – wie vorliegend – eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, so ist grundsätzlich dieses „bindend“. Auf einen Sondermarkt für Restwertankäufer muss er sich nicht verweisen lassen.
Andernfalls wäre die dem Geschädigten nach 8 249 Abs. 2 S. 1 BGB zuständige Ersetzungsbefugnis unterlaufen und er müsste sich die vom Schädiger gewünschten Verwertungsmodalitäten aufzwingen lassen (vergl. BGH NJW 2010, 2722).“
(Amtsgericht Weißenburg i. Bay. – Urteil vom 3. November 2022 – 1 C 244/22)
Nach der Praxis diverse Haftpflichtversicherer soll jede Verhaltensvariante einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht darstellen, sofern sich – aus der Betrachtung im Rückspiegel – irgendwie ein geringerer zu zahlender Betrag ergeben hätte. Zitat aus einem Schreiben eines großen deutschen Kraftfahrthaftpflichtversicherer:
„Auch ist die späte Veräußerung des Fahrzeuges und die dadurch verursachten höheren Standkosten nicht nachvollziehbar. Es verbleibt auch hier beim Verweis zur Pflicht der Schadenminderung Ihrer Mandantschaft.“
Der dortige Geschädigte hätte es also gewagt, sein Fahrzeug nicht sofort zu veräußern. Entstehen dadurch Mehrkosten, dann soll gerade das Zuwarten einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht darstellen. Von einer vermeintlichen Pflicht zum Abwarten bis zum Beibringen von Restangeboten wollte der dortige Versicherer nichts wissen.